Mütze ab im Schulhaus, Herr Redakteur!

25.01.2015
Geschrieben von: LVZ, 24.1.2015

lvz24012015 0Noch einmal Schulkind sein  LVZ-Redakteur Haig Latchinian wollte es wissen und schnürte sein Ränzlein. In der Oberschule im Lossatal verbrachte er einen Tag zwischen Informatik- und Musikunterricht.  Fotos (5): Andreas Döring 

7:45

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Für Frieden und Sozialismus - Seid bereit ... Ha, ha, ha. Alles muss ganz fix gehen. Wie einst die energische Sportlehrerin im Film "Sieben Sommersprossen" (nur ohne Trillerpfeife) teilt Frau Kretzschmar die Kochteams ein: Hier die Schnitzel, da die Möhrchen, dort die Birnen-Igel. Zack, zack, zack. Herzlich willkommen bei WTH, Wirtschaft, Technik, Haushaltslehre. Die Jungs kochen, die Mädchen sind beim Sport. Typisch. Bloß gut, meine Mutti hat mir eine Befreiung geschrieben: Martialische Fleischklopfer, messerscharfe Messer, glutrote Kochplatten - die Verletzungsgefahr für meine zehn Daumen ist zu groß.

 9:00

Dafür bin ich beim Essen ganz vorne dran. Ich suche die Nähe von Lukas Porsche, des einzigen eingefleischten Vegetariers in der Runde. Er kredenzt mir seinen köstlichen Risotto. Zu so früher Stunde Schnitzel - nee, danke. Aber den anderen schmeckt's. Und wie! Thomas Fröhlich reicht mir den Teller mit Schokopudding, unter dem der Birnen-Igel nach Luft japst: Mandelstifte als Stacheln, Rosinen als Augen. Der Junge hält den Teller etwas schief, so dass die Brühe läuft: "Guckt mal, der Igel pinkelt", scherzt der Nachbar. Und Frau Kretzschmar stellt klar: "Ihr wisst ja, wir schmeißen keine Lebensmittel weg." Was würden die Kinder in Vietnam sagen, hieß es früher. Inzwischen besuchen auch vietnamesische Kinder diese Schule. Wie sich die Zeiten ändern. 

lvz24012015 19:45

Nach der Schnitzeljagd schaue ich nun wie das Schwein ins Uhrwerk. Informatik, bei Frau Döring. Tabellenkalkulationsprogramm Microsoft Excel. Relative und absolute Adressierung. Für mich böhmische Dörfer. Meine Klassenkameraden sitzen ganz cool vor ihren Rechnern, klicken Füllbereiche an und stellen Abstände ein, mein Blick wandert nach draußen. Leise rieselt der Schnee und ich komme mir vor wie der Mann aus dem Eis, der im vorigen Jahrhundert tiefgefroren und nun wieder aufgetaut wurde. Technik, die begeistert. Vor allem: Frau Döring schreibt nicht wie unsere Lehrerin damals in der Juri-Gagarin-Schule mit Kreide auf grüner Tafel, sondern mit dem Finger auf dem Smartboard - so schimpft sich die weiße Wunderwand, auf die über eine rätselhafte Lichtquelle allerlei Buchstaben geworfen werden. Links und rechts befinden sich sogar Lautsprecher.

10:03

Direktorin Frau Zauner begleitet mich durch das schicke Schulhaus. Ob ich mit dem Lift fahren will, fragt sie mich. Warum nicht, entgegne ich. Ein Fahrstuhl auf dem Dorf. Vielleicht der einzige in ganz Falkenhain, prahlt Frau Zauner. Alle Schüler hätten sich für ihre neue Schule einen Fahrstuhl gewünscht, sagt sie. Ein Lift, na und? Diesmal bin ich es, der im Zehngeschosser und natürlich mit Fahrstuhl aufgewachsene Mann aus dem Eis, der müde lächeln kann. 1:1. Ein Junge mit Mütze hastet an uns vorbei. Ob denn der Spruch "Mütze ab im Schulhaus" nicht mehr gilt, will ich wissen. Doch, sagt die Frau Direktorin. Und tatsächlich: Der Junge schließt im Keller einen der vielen Spinde auf. Sporttasche, Jacke und die Mütze wandern dort hinein. Also doch kein Rapper. 

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10:40

Auf dem Gang renne ich beinahe Mareike Romahn und Josephine Scherlitz ("Wie Schere ohne e und der Blitz ohne B") übern Haufen. Die Fünftklässlerinnen stehen vor ihren Kunstwerken. Die liegen hier zum Trocknen. Und wie sie duften! Gemalt wurden sie nicht mit Nullacht-Fuffzehn-Farben, sondern mit Curry, Kakao und schwarzem Pfeffer. Auf den Abbildungen, die an Höhlenmalereien aus der Steinzeit erinnern, sind Mammuts, Pferde und Hirsche zu erkennen. 

11:00

Geburtstagskind Jonas Kollewe schmeißt eine Runde: Haribo für alle! Auf dem Lehrertisch liegt das Klassenbuch. Ich illere hinein. Nein, Zensuren stehen da nicht drin. Schon ist Mitschülerin Marie Kretzschmar zur Stelle. Sie ist Klassenbuchverantwortliche. Sie erinnert säumige Lehrer daran, dass sie fehlende Schüler, vergessene Hausaufgaben sowie den behandelten Unterrichtsstoff eintragen. Zensuren stünden auf einem anderen Blatt - im Notenbuch. Das befindet sich im Lehrerzimmer und in den Ferien sogar unter Verschluss. Verrückt: Zu meiner Zeit lag das Klassenbuch voller Zensuren noch ganz offen auf dem Lehrertisch und niemand kam auf die Idee, sich eine 1 reinzumogeln.

lvz24012015 211:10

Mathe bei Frau Patiz: Sie steht am Koordinatensystem mit Y- und X-Achse. "Wie heißt das, wenn etwas steigt oder fällt?" Jan-Erik Knorrn kann sich ein Lachen nicht ganz verkneifen. Richtig: Monotonieverhalten der Funktionen. Irgendwie ist es kalt im Zimmer, zwei Fenster sind permanent geöffnet. Mein Nachbar klärt mich auf: "Weil doch die Weiber Sport hatten." Ach, so. Draußen bellt ein Hund. Alles lacht. Konstantin Müller siegt beim Bankrutschen. Ich feiere mein erstes Erfolgserlebnis. Ich schlage vor, den Bruch um zwei zu erweitern. Völlig korrekt, so die Lehrerin. Sie gibt eine Hausaufgabe auf - bis Montag. Wie, jetzt? Ich denke, übers Wochenende gibt es so etwas nicht mehr. Frau Patiz: "Es gibt Schüler, die langweilen sich übers Wochenende." Unter vier Augen nimmt sie noch einmal Bezug auf die geöffneten Fenster: "Ich bin jetzt in einem Alter, wo es schon mal heiß wird."

11:30

Schon wieder essen. Im Speisesaal herrscht reger Betrieb. Petra Bemme und Martina Herrmann geben die Mahlzeiten aus. Ich habe die Qual der Wahl. Bohnensuppe oder Grießbrei. Ich entscheide mich für letzteren. Köstlich. Ich bekomme sogar Nachschlag. Sarah Zuleger aus der Zehnten hat Schüleraufsicht. Sie achtet darauf, dass die Tische abgewischt und die Stühle ran gestellt werden. Ach, da ist er ja doch noch, spät aber nicht zu spät. Thomas Blassl, Lehrer für Geo und Mathe. Auch er ist als Aufsichtspersonal eingeteilt. Seine Entschuldigung nimmt jeder an: "Wir hatten Kinonacht. Die ganze Klasse schlief in der Schule." Ob er jetzt erst aufgewacht sei, will ich wissen: "Ach, woher. Punkt 7.45 Uhr, zur ersten Stunde, standen wir alle auf der Matte."

11:42

Ich spurte noch schnell zur Hofpause hinaus. Ei, ei, ei, was seh' ich da, ein verliebtes Ehepaar... Für eine ordentliche Schneeballschlacht reicht die weiße Pracht noch nicht. Also geht es unverrichteter Dinge wieder ins Warme. Unterwegs treffe ich Carlo Füllmich aus der Zehnten. Er ist so etwas wie der Star an der Schule. Überall kann man seine Fotos bewundern. Er ist einer der prominenten Falkenhainer Schülerköche, die auch bei bundesweiten Wettbewerben groß einschlugen. Sie alle gingen durch die Hände von Frau Kretzschmar, der WTH-Lehrerin von eingangs.

12:00

Musik bei Frau Klappstein: "Einen wunderschönen Guten Tag", wünscht die Lehrerin zur Begrüßung. Wir Schüler, samt der Horde Stimmbrüchiger, entgegnen brav: "Guuuuten Taaaag." Als wir uns schon hinsetzen wollen, fährt uns die Lehrerin in die Parade: "Mooooment." Mit ihren Händen schlägt sie sich auf die Schenkel und animiert uns dazu, es ihr gleich zu tun. Bumm, bumm, bumm. Immer im Takt. 4-1-2-3. Und klatschen. Ba-ba-ba. Die einen setzen sich, andere stimmen in den Takt ein. Die Lehrerin will unsere Begeisterung anfachen. Als werfe sie Scheite in den Ofen nach, reicht sie uns Rasseln und Klanghölzer. Auch die Congas stehen bereit. Und schon sind wir mitten drin im afrikanischen Lied: Janie Mama, tu suzikai ya, turnmina ya, tu yarana hey yavana, turmina suzika. Die Wörter gehen uns leicht über die Lippen, nur mit der Aussprache hapert es noch ein bisschen. Wir erfahren einiges Wissenswerte über die Wurzeln des Jazz, über Negersklaven, die in der Neuen Welt wie Arbeitstiere gehalten und behandelt wurden.

12:20

Vor der Kurzkontrolle kann ich mich erfolgreich drücken - bei meinen Fehlstunden auch kein Wunder. Mein Nachbar pinselt seinen Namen auf das Arbeitsblatt und beißt sich vor lauter Gewissenhaftigkeit beinahe die Zungenspitze ab: Dominic Röhrborn, lese ich. Röhrborn? Der Name ist doch ein Begriff in Wurzen. Ich warte solange, bis Dominic seine Arbeit beendet hat, dann frage ich ihn: "Kennst Du den Mario Röhrborn?" Mein Nachbar: "Na klar, das ist mein Onkel, wieso?" Mit ihm hatte ich früher zehn Jahre in einer Mannschaft Fußball gespielt. "Ach, so", winkt der Junge ab: "Das ist nichts Besonderes. Alle Röhrborns spielen Fußball. Ich selbst spiele bei Frisch Auf."

12:30

Das große Finale: Mitschüler Kevin Ehrig schreitet an den Flügel und mimt aus vollem Herzen Wolle Petri: "Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?" Und wir im Chor: Hölle, Hölle, Hölle. Ein toller Tag. Nicht wie in der Hölle, wie im siebten Himmel! Wer kann das von sich behaupten, als beinahe Vorruherentner noch einmal einen ganzen Tag Schulkind zu sein!

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